Donnerstag, August 02, 2012

Über das Einfahren

Es gibt Motoren, die sind von Geburt an gesund und lassen sich von keinem Sonntagsfahrer etwas antun. Es gibt Motoren der gleichen Eltern und aus demselben Wurf, aus denen nie etwas Ordentliches wird, weder mit Einfahrvorschrift, Obenöl, Freundesrat noch Kundendienst.

Eingefahren wird ein Motor nur in der ersten halben Stunde seines Lebens. Wer noch nicht fahren kann, wessen Führerschein noch ohne Knitterfalten ist, lasse in der ersten halben Stunde einen Freund den Wagen fahren, einen, der nach Möglichkeit denselben hat. Am geeignetsten sind Stadtverkehr, hügelige Nebenwege, Dörfer. Ungeeignet ist die Autobahn.

Und es kommt nicht auf die Tachometernadel an, nicht auf die Tabelle, sondern einzig nur aufs Gaspedal. Das Gaspedal ist der Aus­druck unseres Willens, befiehlt die Leistung, gleich, ob der Wagen schnell fährt oder langsam - für den Motor ist das Gaspedal die höhere Gewalt. Es soll anfangs nur bis zu einem Drittel durch­getreten werden, aber zwischendurch mit sekundenlanger Roheit. Der Motor wird massiert. - Mit dem, was die Fachleute unter Einfahren verstehen, hat das gar nichts zu tun. Dem Auto ist es lieber, es wird richtig, als fachgemäß behandelt. Sie werden das noch oft genug erleben.

Die erste halbe Stunde ist eine Säuberungskur. Was man danach im Öl findet, ist nicht weggeriebene Zylinderwand oder Lagerguß, als vielmehr ganz gemeiner Dreck aus der Fabrik, und Eisenstaub, Späne, die vom Drehen stammen, vom Bohren, Hobeln, Schleifen, Feilen. Ich habe auch schon einmal ein Stück Leukoplast im neuen Motor gefunden...

Alexander Spoerl: Mit dem Auto auf du, Piper 1953

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